Doch kein Interview ...
eine sehr persönliche Erinnerung an Kurt Ingerl

...Gewiß:
Das Schnüren ist immer Abstraktion, Geometrisierung, Stilisierung,
"Form" ist immer auch "Deformation".
Die geschnürte Frau ist "in Form".
Die geschnürte Frau ist lebendige Form.
Die geschnürte Frau ist ein lebendiges Kunstwerk.
Schnüren ist Körperplastik!
Tight Lacing is Body Sculpture!
Für mich als Bildhauer gibt es nichts Schöneres
als eine geschnürte Frau.
Ich erbitte Toleranz und sage:
I like tight laced ladies.
Ich liebe eng geschnürte Frauen.
Aus dem Katalog IDOL WEIB, Kultur Favoriten, 1986


Diese Zeilen beantworten die am meisten gestellte Frage nach den zwei Gesichtern Kurt Ingerls am treffendsten. Kurts Schaffen bestand aus zwei Polen, da der Konstruktivist, der Inovative, der "Quadratlmaler", als Vizepräsident des Künstlerhauses hochangesehener Künstler; da der Fetischist, der Liebhaber von geschnürten Frauen, dessen hyperreale Korsettfiguren vom hehren Kunstbetrieb bestenfalls mit einem pikanten Lächeln bedacht wurden.

Kurt hat diese Pole meisterhaft verbunden, offensichtlich, wie in vielen seiner Zeichnungen, versteckt, wie in der Harmonie seiner Skulpturen.

Ich hatte das Privileg, Kurt kurz vor seinem Tod persönlich kennenzulernen. Schon deshalb kann ich mit Kurt kein Interview mehr führen, einerseits weil ich kein Medium bin, andererseits weil ich viel zu befangen bin. Aber auch zu Lebzeiten wäre ein Interview nicht ganz einfach gewesen, tiefe Gespräche führte er fast ausschließlich bei einem guten Essen und reichlich Rotwein, seine Gedankensprünge waren berüchtigt, seine fast dozierenden, humorvollen Erklärungen des aktuellen Kunstbetriebes berühmt. Und er machte sich einen heiden Spaß daraus, die arrivierte Kunstwelt mit seiner Korsettleidenschaft zu konfrontieren, wenn nicht gar zu schockieren.

Bei der Eröffnung des Ingerl Galerie "Huldigung der Venus zum Quadrat" in Wiener Neustadt schwelgte ich mit Christa, dem Lebensmenschen von Kurt, in Vergangenem. Wie er, anläßlich einer gemeinsamen Ausstellung im Künstlerhauskino, die Models der vorangegangenen Korsettperformance einsammelte, und mit ihnen über ein Hintertürchen den großen Saal des Künstlerhauses betrat, wo sich die Honoratioren der Stadt versammelt hatten, um über Schule und Architektur zu diskutieren. Über die verblüfften bis empörten Reaktionen der anwesenden Gattinnen sowie über die offenen Münder der Herrn Politiker haben wir stundenlang gelacht. Wie er, in nächtelangen Sitzungen, unter großer körperlichen Anstrengung, Abgüsse der engst geschnürten Frauen Europas gemacht hat. Und bei einem oder mehreren Flaschen Bier seine Helfer zu absoluter Verschwiegenheit über die Abgußmethode verpflichtet hat. Wie er, zusammen mit den elegantest korsettierten Frauen rauschende Bälle veranstaltet hat. Und wie ihn die Gerüchte amüsiert haben, er und Christa hätten ein Verhältnis, was natürlich nicht sein konnte, weil die nahe miteinander verwandt sind.

Christa galt als eine der engst geschnürten Frauen Europas. Ihre Leidenschaft hat sie mit Kurt begraben, ihr schmalstes Korsett schmückte den Blumenstrauß bei Kurts Begräbnis 1999. Als Nachlaßverwalterin kümmert sie sich um Kurts umfangreiches Erbe. Einen Teil der Plastiken hat sie der Stadt Wiener Neustadt zum Geschenk gemacht, die in der bereits erwähnten Ingerl Galerie wechselnde Ausstellungen veranstalten und Kurts Arbeiten auch wissenschaftlich dokumentieren wird, ein Teil ist in der Bar "die Ausstellung" zu sehen, ein Teil befindet sich in Christas eigener Werkstatt in Ternitz, wo es bei Gelegenheit auch besichtigt werden kann.

Eine letzte Installation, sozusagen sein Vermächtnis, zeigt unter der Überschrift "Kurt Ingerl, Bildhauer, Graphiker, Maler" seine Arbeitsschuhe, seinen gipsbefleckten Arbeitsmantel und seine schwarze Baskenmütze, so, als hätte er nur kurz sein Atelier verlassen und komme gleich wieder, um eine schöne Frau zu korsettieren und in Gips zu verewigen. Und ich bin mir sicher, er lächelt irgendwo, jedesmal, wenn ich mein Korsett schnüre ...

INGEL Galerie, Karmeliterkirche, Schlögelgasse 24, 2700 Wr. Neustadt, wechselnde Ausstellungen aus dem Nachlaß

"Die Ausstellung", Galerie und Bar, Schlösselgasse 24, 1080 Wien, wechselnde Ausstellungen aus dem Nachlaß

Kurt Ingerl liebt eng geschnürte Frauen, Katalog zur Ausstellung, Künstlerhaus 1998, ISBN 3-900926-21-2

Auszüge aus dem Gespräch mit Christa:

B: In der Öffentlichkeit habt Ihr für viele als ein sehr ungleiches Liebespaar gegolten. Du hast Kurt einmal als Deinen "Lebensmenschen" bezeichnet. Wie war Deine Beziehung zu Kurt?

CC: Ich bin ja 1/4 Ingerl. Meine Großmutter und Kurts Vater waren Geschwister. Nach 50jähriger "Familienfede" haben wir einander kennen gelernt. Die Kunst war die Vermittlerin. Ich habe ihn sehr verehrt, geschätzt, geachtet, geliebt, ...ich könnte ein Buch füllen. Ich war sein alles. Ich bin dankbar für die Begegnung.

B: Kurts Schaffen bestand aus zwei Teilen, da der Konstruktivist, der Inovative, der "Quadratlmaler", als Vizepräsident des Künstlerhauses hochangesehene Künstler; da der Fetischist, der Liebhaber von geschnürten Frauen, dessen hyperreale Korsettfiguren vom hehren Kunstbetrieb bestenfalls mit einem pikanten Lächeln bedacht wurden. Wie hat Kurt diese beiden Pole verbunden?

CC: Das eine ist weiblich, das andere männlich. Er hatte beides in sich. Das Weibliche konnte er in der Phantasie in seiner Kunst ausdrücken. Wäre er eine Frau, hätte er die engste Taille der Welt. In seinen Ausstellungsbauten vereinte er auf wunderbare Weise männlich und weiblich. Er hatte zum Schluß die Dualität aufgehoben - es wurde eins in ihm.

B: "Ich liebe eng geschnürte Frauen!" - Wann hat Kurt seine Leidenschaft für eng geschnürte Frauen entdeckt?

CC: Er war so etwa 14 Jahre alt. Auf einem Ball tanzte er mit einer jungen Dame und als er sie um die Taille fassen wollte, welche unter einem weiten Pullover versteckt war, gingen seine Hände zusammen und zusammen, bis sie die schmale Mitte fanden. Von nun an hatte er ein Geheimnis und tief in ihm drinnen begann etwas zu wachsen.

B: Kurt hat für seine lebensgroßen Plastiken eine eigene Gußtechnik entwickelt. Könntest Du Sie kurz beschreiben, wie fühlte es sich an, wenn Kurt einen Abdruck gefertigt hat?

CC: Nun ja, ein Bäcker gibt auch nicht sein Geheimrezept preis. Von mir wurden einige Abgüsse von Kurt angefertigt, bei denen ich die unterschiedlichsten Gefühle beobachten konnte, von kuschelig warm weich geborgen bis feucht kalt beengend beängstigend, behütet und ausgeliefert. In 2 Stunden begegnete mir so mancher interessanter Gedanke. Deshalb ist jedesmal eine gute Seele dabei die sich ausschließlich um die Bedürfnisse der abzugießenden Person kümmert wie : mit dem Strohhalm den Durst löschen, den Gipsspritzer mit einem Tuch von der Stirn wischen, eventuell eine Zigarette zum Mund führen um so mit vereinten Kräften dem Laster zu frönen oder einfach nur gut zureden wenn das Prozedere schon zu lange dauert. Das männliche Team im Zeitdruck, da Gips erstarrt und das bedeutet Streß - da tut eine ruhige Hand auf der Stirn sehr gut.

B: Wenn Du Kurt drei Eigenschaften zuordnen könntest, welche wären die?

CC: Großherzigkeit - Toleranz und grenzenlose Phantasie.

B: Du selbst warst als die engst geschnürten Frau Österreichs bekannt. Heute trägst Du kein Korsett mehr? Warum?

CC: Mit Kurt habe ich den Exhibitionismus auf der künstlerischen Ebene geteilt. Ich habe Kurt mit seinem und meinem Lieblingskorsett in den Händen beerdigt. Das habe ich nur mit ihm geteilt.

B: Kurt war ein sehr produktiver Künstler. Was ist mit dem umfangreichen Nachlaß passiert? Kann man seine Werke besichtigen?

CC: Er hat mir sein künstlerisches Werk vermacht und ich verwalte es nun in seinem Sinne. Die Stadt Wr. Neustadt wurde von mir mit einer Schenkung bedacht, ein Querschnitt aus seinem künstlerischem Schaffen. So entstand die "Ingerl Galerie" in der Karmeliterkirche. Jährlich soll die Galerie neu gestaltet werden.

B: Du bist Textilkünstlerin. Inwieweit hat Dich Kurt inspiriert und gefördert?

CC: Wir waren so gegensätzlich, es hätte ärger nicht sein können. Seine Toleranz und Phantasie haben mich beflügelt. Auf meine ganz persönliche Kunst sprich Bilder hatte er keinen Einfluß. Ich habe nie Quadrate und Taillen gestickt und er hat nie versucht meine Bilder zu bildhauern. Die Liebe zur Form und Begeisterung für das Schöne - jajaja das hatten wir gemeinsam. Es war ein Spielen, zwei die nie ganz erwachsen wurden um mit dem Spielen aufzuhören.

B: Könntest Du uns noch kurz Deine nächsten Aktivitäten beschreiben, wo kann man Deine Werke besichtigen?

CC Christa Textilkünstlerin


PS: Der Text entstand 2003 für ein Magazin. Und mir geht Kurt noch immer oder immer wieder irgendwie ab ....
PSPS: Wir waren wieder bei einer Ausstellung von und über und mit Christa und Kurt