Die wahren Abenteuer sind im Kopf

Wie sagte schon der Heller Franzi: "Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht in meinem Kopf, dann sind sie nirgendwo!" Und bei mir waren sie im Kopf, seit ich denken kann. Nachdem ich lesen konnte, habe ich alles verschlungen, was mir in die Finger kam, mit sieben schon Karl May und kiloweise Bücher über das Weltall, Raumschiff Enterprise war eine Offenbarung, in meiner Phantasie war ich an mehr Marterpfahle gefesselt und hab mehr intergalaktische Uniformen getragen, als Piere Brice und Spock zusammen. Einen Namen hatte das alles nicht, lange Zeit nicht.

Als dicker Teenager war diese Welt für mich zuerst nur ein Rückzug, ein Bollwerk gegen die Umwelt, aber mit der Zeit hat es mich stark gemacht, ich wußte, ich bin anders und darauf war ich stolz. Dann kam die große Ernüchterung, so mit 17, 18, alle meine Freundinnen hatten Freunde, klebten ständig knutschend aufeinander, ich fand kein männliches Wesen, das einerseits meine Rubensfigur akzeptiert hätte, und andererseits wenigstens ein bißchen den Kopf in meine Welt stecken wollte. Also, reale Sexualität ad acta gelegt, und das jahrelang.

Durch einen Zufall lernte ich dann die Besitzerin einer Agentur für alle möglichen Bühnenshows kennen, machte zuerst den Pausenclown, dann selbst Modeschauen, auch in Dessous. Natürlich ließ ich nix abbrennen, der Nachholbedarf war groß. Aber schlußendlich, nach vier Jahren Vanilla – Affäre mit einem verheirateten Mann und dazwischen einigen, nun ja, kurzweiligeren Abenteuern, wollten die Phantasien einfach raus. Eine Anzeige, mehrere Treffen und die ersten elektrisierenden Spielchen, dann der erste Kontakt zur Libertine. Ich hatte Barbara, der "Stammtischmutter" einige meiner Geschichten geschickt, geschrieben hatte ich ja schon immer, stundenlang mit ihr telefoniert, und schlußendlich, mit klopfendem Herzen, der Weg zum Stammtisch. Barbara setzte mich neben einen Mann, mit der Bemerkung, "das ist auch so ein Knöterich". Wir unterhielten uns, ein paar Tage später haben wir bei einem Fest dann die ganze Nacht gespielt, und bald sind wir 17 Jahre zusammen, wollen das auch die nächsten hundert Jahre bleiben.

Heute bin ich 35, im zweiten Bildungsweg bereits fertige Mediatorin und noch immer Richtung Anwältin unterwegs, und rundherum glücklich. Wenn jemand mich nicht so akzeptiert, wie ich bin, ist das sein Problem, nicht meines. Mein Freund warnt mich immer vor zu viel Outing, ich dränge niemand meine Vorlieben auf, aber wenn das Gespräch darauf kommt, verleugne ich sie auch nicht. Wichtig ist mir zu transportieren, daß SM und reale Gewalt verschiedene Dinge sind. (Und das SM nicht immer in schwarzen Klamotten stattfinden muß, aber das ist eine andere Geschichte).

Durch meinen Freund hab ich die Leidenschaft zu Latex wieder entdeckt, der Geruch, der macht mich immer noch unheimlich an. Ein Psychologe würde das frühkindliche Prägung nennen, einer meiner Lieblingsspielplätze in frühen Kindertagen war die kleine Gummimanufaktur in der Nachbarschaft. Es gibt Zeiten, da fehlt uns die nötige Ruhe für ein ausführliches Spiel, aber wenn ich an den Kästen mit den High Heels, den Seilen, den Latex – Sachen, vorbeigehe und der süßliche Geruch zieht mir in die Nase – die wahren Abenteuer sind im Kopf ....

Einige Zeit habe ich ehrenamtlich bei einem Verein mitgearbeitet. Wie das halt so ist mit der Vereinsmeierei, es gibt immer ein paar, die versuchen, die Arbeitsbienen zu torpedieren. Wie heißt´s so schön, Eifersucht ist eine Sucht, die mit Eifer Leiden sucht. Schließlich mußte ich feststellen, daß auch SMler nicht gefeit sind vor Ausländerhaß, Homo- und Transphobie, daß manche nicht in der Lage sind, Realität und Spiel zu trennen und glauben, ihre Rollen, das Macht über andere ausüben zu wollen, auch in Realita weiter spielen zu müssen. Traum vom Hort der Toleranz geplatzt.

Zu diesen persönlichen Unzulänglichkeiten und erheblichen Auffassungsunterschieden, was die Notwendigkeit professioneller Arbeit betraf, kam dann noch eine sehr seltsame Einstellung zu Aktivitäten in Latex in der Öffentlichkeit. Das war dann der Punkt, wo mir ein Cut die beste Lösung schien.

Und es war gut so, ich vermisse zwar die Arbeit, das Organisieren von Veranstaltungen, die Möglichkeit, Visionen umzusetzen, nicht jedoch die ständigen Querelen und persönlichen Untergriffe. Das schöne dran: "die Szene" (was immer das auch ist), also Menschen in meiner Umgebung haben schnell überrissen, was da gelaufen ist, der Zuspruch tat und tu sehr gut – Danke!

Kurzum, Harald und ich haben uns entschlossen, einen Latex – Stammtisch zu eröffnen, Aktivitäten sind geplant, Vorschläge immer gerne angenommen. Die wahren Abenteuer sind zwar im Kopf, aber manchmal möcht ich sie Realität werden sehen!

Barbara

Update: November 2006
Nein, ich werde mein Alter in obrigen Beitrag nicht mehr korrigieren. Ich hab beschlossen, nicht mehr weiter zu altern. Und ja, natürlich gibt es Bilder von mir - auf der HP.
Aber Spaß beiseite, oder eigentlich doch nicht. Die Gründung des Latexstammtisches war ein voller Erfolg. Schon beim ersten war ich überwältigt, wie viele Leute sich da im zweiten „Zimmerchen“ des SMarts tummeln. Und es werden nicht weniger. Wir lachen, tratschen, tauschen Einkaufstips und „Bastelanleitungen“ aus, planen Aktivitäten, essen das gute Papi im SMart, manchmal wird auch heftig gespielt, kurzum – wir leben unseren Fetisch aus.
Und – wir haben uns auch schon ein paar Mal „nach draußen“ gewagt – und auch das waren tolle Erlebnisse. In diesem Sinn wird es weitergehen.
Ganz lieben Dank an alle, die dem Stammtisch (und damit mir) so unverbrüchlich die Treue halten.
Und für alle, die nach Studium der Bilder immer noch nicht wissen, wer ich bin (die Linke übrigens!):


Und wers jetzt noch immer nicht weis - Staatsoper, Sylvesterfledermaus, Netrebko, Schrott, Kirchschlager, eine nette Loge -

Barbara


Update: Februar 2013: Jetzt ist unser Baby, der Latexstammtisch, schon siebeneinhalb Jahre alt. Und irgendwie noch immer kein bißchen weise oder leise. Wir sind weiterhin ein bunter, lustiger Haufen Leute, die einfach Spaß mit dem Material haben wollen. Und die sich keinen Deut um Leute scheren, die uns vorschreiben wollen, wie wir unseren Stammtisch zu gestalten haben. Wir entscheiden nach wie vor basisdemokratisch, es gibt nach wie vor keine Vereinsstrukturen; keine Aufnahmekriterien; keine Ausweis- oder sonstigen Kontrollen; keine Bürgen; zu uns kann jeder/jede kommen und Teil des allumfassenden Ganzen sein. Und so wird es auch weiterhin bleiben!
Mein Dank gilt immer noch allen, die dem Stammtisch (und damit mir) so unverbrüchlich die Treue halten. Es ist schön, FreundeInnen zu haben, auf die frau zählen kann!

Update: September 2013: Unser neuer Freitagstermin, die Latexwerkstatt hat sich gut etabliert, wir feiern unseren achten Geburtstag, wir haben Spaß in Latex - was will man/frau mehr?
PS: wer wissen will, was ich sonst so denke: Rubberinchens auf FB und Twitter Rubberinchen

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